Interview: Hartheim

Den Song “Welcome To Hartheim” der Band Hartheim aus Manchester habe ich euch Anfang Juli vorgestellt. Mit einer entfernten Gitarrenmelodie beginnt dieser Song, führt über eine düstere und faszinierende Gesangslinie hinab in die Katakomben. Dort verhallt der Song und verliert sich fast, nur um dann noch kraftvoller zurück zu kommen. Ich war schwer beeindruckt und bin es noch immer. Leider war im Internet nicht viel über diese Band zu erfahren, und so beschloss ich, einfach mal persönlich anzufragen.

Hallo. Danke, dass du dir die Zeit nimmst, mir ein paar Fragen zu beantworten. Kannst du euch bitte kurz vorstellen?

Wir sind Hartheim. Wir sind eine fünfköpfige Band aus Manchester die es mag, düstere Popsongs zu schreiben. Ich bin Mike, der Sänger. Dann gibt es noch Gary an der Gitarre, Nico als Krachmacher, George am Bass und Conor am Schlagzeug.

Erzählt mir doch bitte ein wenig von eurer Entstehungsgeschichte.

Wir haben alle schon eine Weile in verschiedenen Bands gespielt, aber ich war irgendwann ziemlich genervt von der mangelnden Hingabe. Es ging mir nicht so sehr um Ehrgeiz oder um irgendein Level, dass es zu erreichen galt, aber irgendwie schien jeder froh zu sein, einfach vor sich hin zu jammen und nicht wirklich etwas zu erreichen. Ich hatte immer die Idee von einer Band mit einem starken Namen und klaren Ideen und Vorstellungen, und als ich mit unserem jetzigen Gitarristen sprach, hatte ich den Eindruck, das wir das zusammen realisieren können. Es gab da eine seltsame und auch brillante Reihe von Nächten und Zusammentreffen, und Woche für Woche kam ein weiteres Bandmitglied an Bord bis wir komplett waren. Das war im letzten Sommer.

Ihr habt eine Seite bei Soundcloud und einen nagelneuen Twitter-Account. Für wie wichtig hältst du die moderne Kommunikation in diesen Tagen, gerade als Künstler?

Ach, da bin ich mir nicht so sicher. Über dieses Thema könnten wir uns tagelang unterhalten. Moderne Kommunikation ist bis zu einem gewissen Grad wichtig – die Welt ist jede Minute eines jeden Tages völlig vernetzt, und wenn du da als Künstler mitmischen willst, dann brauchst du eine Plattform, auf der sich die Leute über dich informieren und nach Updates schauen können. Auf die Mundpropaganda kannst du dich nicht mehr verlassen, und es gibt so viele verdammte Bands und Konzerte da draußen, dass du ohne soziale Plattformen einfach untergehen würdest. Aber obwohl die Beziehung zwischen Künstler und Konsument wundervoll sein kann, kann die moderne Kommunikation auch das Schlimmste der Welt sein. Ich mag Künstler, die ein gewisses Mysterium umgibt, die ein wenig vom Oberschenkel aufblitzen lassen ohne das ganze Bein zu zeigen. Ich denke, es gibt da eine Linie, die nicht übertreten werden sollte. Das ist so ähnlich wie die Shows im Fernsehen, wo Magier überwältigende Tricks zeigen, nur um dann in allen Details zu erklären, wie sie das gemacht haben… das ist verdammt interessant, aber für ein Kind zerbricht da eine Welt.

Du musst es machen, aber mache es wenigsten von Herzen.

Ich will nicht sehen, was meine Lieblingskünstler zu Abend essen. Ich will nicht wissen, welches Duschgel sie benutzen. Ich will nicht mal darüber nachdenken, dass ihr Leben eben doch nicht großartig ist, sondern völlig gewöhnlich. So gesehen kann diese ganze moderne Kommunikation eine hingebungsvolle Liebe vernichten. Du musst es machen, aber mache es wenigsten von Herzen. Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht eines der zynischten Dinge unserer Zeit ist.

Habt ihr das bei euch in irgend einer Weise geplant?

Wie ich gerade sagte, dass hängt mit unserer Betrachtungsweise zusammen. Wir haben da jetzt nichts strategisch geplant um Aufmerksamkeit zu generieren oder so. Es ist nur so, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt eine Menge durch unsere Musik zum Ausdruck bringen möchten. Wir haben große Pläne, wie wir die kommenden Dinge veröffentlichen möchten, und dann die nächsten und die nächsten. Egal ob es sich dabei um Songs, Videos, Kunstprojekte unter dem Namen Hartheim handelt. Mehr sage ich jetzt aber nicht.

Soweit ich weiß, habt ihr euch nach der Tötungsanstalt Hartheim benannt. Ist das richtig? Warum dieser Name?

Das ist richtig. Hartheim war ein Schloß, welches um 1600 gebaut wurde und eines der wichtigsten und schönsten Renaissance-Gebäude seiner Zeit war. Im Laufe der Zeit wurde es für die unterschiedlichsten Dinge von den verschiedensten Besitzern genutzt, eine “Idioten-Anstalt” zum Beispiel. Als Hitler sein Euthanasie Programm aufsetzte, wurde Hartheim zu einer Tötungsanstalt. Es war eine war eine der größten „Euthanasie“-Anstalten der Aktion T4, einem Programm, welches viele Opfer forderte (vor allem Kinder) und Unterstützer in der Eugenik-Bewegung der Zeit hatte. Es war ein furchtbarer Ort, welcher oft von dem Bastard Karl Brandt besucht wurde, aber es ist auch ein Ort, den man nicht vergessen sollte. Wir interessieren uns sehr dafür, wie dieser wundervolle Ort in so kurzer Zeit zu einem Ort des Terrors werden konnte. So viel Licht und Schatten in so einer kurzen Zeit. Oder um es anders zu sagen: The best-laid plans of mice and men / Often go awry.

Euer neuer Song “Welcome To Hartheim” ist bei Soundcloud als kostenloser Download erhältlich. Denkst du, es bringt euch etwas, wenn ihr eure Musik kostenlos anbietet?

Um ehrlich zu sein, denken wir darüber im Moment nicht groß nach. Aktuell sind wir nur damit beschäftigt, unsere Band und unsere Ideen bekannt zu machen. Bei Soundcloud gibt es diese Option, soundso viele Downloads umsonst anzubieten. Wenn es unser Ziel ist, die Leute unsere Musik hören zu lassen und unsere Ideen zu verbreiten, warum sollten wir dann dort keinen Haken setzen? Es gibt diese Debatte über diese Kultur und den Wert von Musik, und auch von Musikern. Es ist nicht einfach, aber im Moment geht es um unsere Ideen, und du kannst nicht herumlaufen und den Wert einer Idee selbst bestimmen – dann steckst du richtig in der Scheiße.

Was sind eigentlich eure Einflüsse? Und wie würdest du eure Musik selbst beschreiben?

Es ist Popmusik – düstere Popmusik. Licht und Dunkel beim Versuch der Verschmelzung. Ich finde es sehr schwer, unsere Einflüsse zu definieren; sie kommen von überall her. Das Gebäude von Hartheim ist ein Einfluss, die Sachen, die dort passierten, Architektur allgemein…Kunst, Fotografie, Krieg, Liebe, Organe, Design, Zeitreisen, Pubertät, Zarathrusta, Keyboards, Neurologie, Tabu, Farbenlehre, Traumdeutung, Sexualität. Die Einflüsse sind überall, und wir ziehen sie aus unseren persönlichen Erfahrungen und unseren Erinnerungen. Ich würde nicht sagen, das wir eine bestimmte Band favorisieren; jeden Tag kann eine andere Platte aus deiner Sammlung deine Lieblingsplatte sein.

Wie sehen eure Pläne für das restliche Jahr aus? Wird es ein Debütalbum geben?

Vielleicht. Ich weiß es nicht. Wir schreiben und produzieren momentan eine Menge Zeug, sind die ganze Zeit im Studio und arbeiten dort. Es ist schwer zu sagen. Wir haben eine ziemlich genaue Vorstelllung davon, was unser nächstes Release aussagen soll, und eine Menge flankierender Ideen bezüglich Artwork und Veranstaltungen. Welches Format es haben wird, da bin ich mir nicht sicher. Es wird definitiv nicht bloß ein weiterer Song auf Soundcloud und ein Video auf YouTube sein. Unser nächstes Ding wird größer sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob es sich um ein Album handeln wird. Es wäre toll, etwas anderes zu machen. Weisst du, wir konsumieren Musik im Grunde schon seit Jahrtausenden in ähnlicher Weise; Konzerte haben sich kaum verändert. Formate innerhalb der Musik verändern sich nie, und das ist eine Schande.

Interview in englisch.


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