Werteverschiebung. Oder: 30 Deutsche Mark für eine Maxi-CD?

Berliner, speziell Friedrichshainer, werden den Flohmarkt am Boxhagener Platz kennen. Dort gibt es jeden Sonntag rund um einen kleines Parkgelände mit Spielplatz und Sitzwiese diverse Stände mit den üblichen Gebrauchtwaren. Natürlich gibt es auch die professionellen CD- und Vinylhändler mit hunderten von gebrauchten CDs. Früher, da waren diese Stände mein bevorzugtes Ziel.

Rückblende:

Das muss so 1994 gewesen sein. Da war ich auf einem grossen und bekannten Flohmarkt in unserer Gegend. Unsere Gegend, das war eine sehr ländliche Gegend, weswegen ich zu diesem Flohmarkt weit fahren musste. In meiner typischen Jäger-und-Sammler-Stimmung habe ich mich an die Stände mehr angeschlichen als das ich über den Platz geschlendert wäre. Das war immer ein grossartiges Gefühl. Auf der Suche nach der noch fehlenden CD in der Sammlung, dieser extrem seltenenen Maxi. Mit diesem einem Song, den es nur auf eben dieser Maxi gab.

Wie oft bin ich schon enttäuscht wieder von den Flohmärkten verschwunden, wie oft habe ich aus lauter Frust einfach andere CDs gekauft (z.B. die “Gold Against the Soul” der Manic Street Preachers, der grandioseste Fehlkauf meiner Musikhörerkarriere, für geschätzte 7 Mark gekauft und ungelogen nie gehört) ? Ich habe es vergessen.

Aber an diesem Tag hatte ich Glück. Da hatte ich sie beim Stöbern auf einmal in den Händen. Die Hülle zwar leicht zerkratzt, aber das störte mich nicht. Jetzt musste ich nur noch den Preis aushandeln. Zu verhandeln gab es da jedoch nicht viel, denn der semi-professionelle Händler hatte einen Festpreis. 30,- DM wollte der. Für eine Maxi-CD. Das entsprach bei meiner damaligen Finanzsituation ungefähr einem Drittel des mir im Monat zur Verfügung stehenden Geldes. Wahnsinn.

Und aus heutiger Sicht noch viel unglaublicher: ich habe ernsthaft überlegt, diese 30,- DM in meine Sammlung zu investieren. Ich weiss nicht mehr genau, wie lange ich darüber nachgedacht habe, aber am Ende hat schließlich die Vernunft gesiegt. Mit einem Gefühl der Unzufriedenheit bin ich nach Hause gefahren. Die Maxi-CD habe ich nie besessen. Der Song war mir auch irgendwann egal.

17 Jahre später ist die Situation völlig anders. Würde ich heute ernsthaft darüber nachdenken, für eine Maxi-CD ein Drittel meines Geldes zu opfern? Oder auch nur 15,- Euro? Für einen Song? Auf keinen Fall.

Um welche Maxi es sich handelte? Um “After The Watershed” von Carter The Unstoppable Sex Machine, neben Pop Will Eat Itself meine damalige absolute Lieblingsband.

Foto: abbilder, CC-Lizenz


Kommentare

6 Antworten zu „Werteverschiebung. Oder: 30 Deutsche Mark für eine Maxi-CD?“

  1. Ich kann die Bereitschaft, recht viel Geld für das Vervollständigen einer Sammlung auszugeben, sehr gut nachvollziehen… ich hätte den Betrag sicher bezahlt.

    Heute würde ich es nicht mehr tun, nicht aus irgendwelchen Gründen der Vernunft, sondern weil die ersten Exemplare meiner CD-Sammlung sich so langsam auflösen. Jegliches Verständnis für das Medium CD ist mir abhanden gekommen. 30 Euro für einen Song? kann man machen. aber für eine CD?

  2. @FraktionAugenZu: Ja, damals war Vinyl noch nicht so ein Liebhaber-Ding und CDs klangen (zumindest bei mir) besser. Ich hatte nur eine billige Schneider-Kompaktanlage, mit einem mehr als minderwertigen Plattenspieler.

  3. Avatar von FraktionAugenZu
    FraktionAugenZu

    …würde es doch wenigstens um Vinyl gehen…

  4. Die Werteverschiebung ist noch viel gruseliger. Ich spiele zur Erholung gerne auf Facebook mit meinem virtuellen Aquarium. Dort kann man sich für Unsummen Deko-Gegenstände kaufen (oder auch nicht). U.a. für rund 6 Euro nen Hintergrund mit Bon Jovi-Logo und ähnlichen Merch. Auf Farmville gibt’s zur Zeit Lady Gaga Zeugs incl. Erspielbarem Pre-Listening. Das Erschreckende ist, dass nicht Wenige tatsächlich ein Vielfaches der Kosten für ne entsprechende Mp3 oder Album ihrer Stars, für virtuelle Fanartikel in Social Games ausgeben. Manche werden sagen, endlich ne Möglichkeit der Monetarisierung von Musik… Ich geb lieber Geld für ne physische CD aus und würd im Leben keinen Cent für ein virtuelles Fanprodukt zahlen. Die Vorstellung Brian Molko und Hope Sandoval zwischen meine virtuellen Fischen stehen zu haben ist hm… mir ein Graus.

    Und ja, allein die Tatsache ein virtuelles Aquarium zu pflegen ist schon Computerzeitalter-de-generiert, ich geb’s zu. Das mit Farmville hab ich der Presse entnommen und halte von beidem Lady Gaga und Farmville gebührend Abstand.

  5. Plattenbörsen sind naturgemäß natürlich schon teurer als der profane Flohmarkt. Wer “Klassiker” sucht, die auch verkauft wurden, der wird auf dem Flohmarkt immer noch fündig, auf dem Land. In der Stadt sind es dann meist Sammlungsauflösungen, wo man Schnäppchen machen kann. Aber bestimmte Dinge gibts es halt nur auf Plattenbörsen, weil sie so selten/unbekannt sind. Oder eben im Netz zu den üblichen Preisen.

  6. Ich meide Plattenbörsen inzwischen auch, fahre nur hin, wenn ich was ganz seltenes suche. In Frankreich habe ich mal Serge Gainsbourg Maxis für 30€ (!) gesehen. War definitiv zu teuer.

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