Kritik: The Notwist – Close To The Glass

Es ist tatsächlich schon unfassbare 12 Jahre her, dass mit “Neon Golden” einer der Meilensteine des deutschen Indierock erschien. Die CD mit dem roten Cover hole ich nach wie vor gerne aus dem Regal, und ich erinnere mich noch an den äußerst interessanten Film “On/Off The Record”, welcher den gesamten Entstehungsprozess des Albums porträtierte. Schon damals war die Arbeit der Weilheimer im Studio sehr intensiv. Das Nachfolgewerk “The Devil, You + Me” ließ mich damals seltsamerweise ein wenig unbefriedigt zurück; und obwohl ich die tolle Spezialausgabe der CD besitze, habe ich sie seit Jahren nicht mehr gehört. Kein wirklich schlechtes Album, aber in meinen Ohren klang alles ein wenig zu verkrampft (obwohl: ich entdecke es gerade im Zuge dieser Rezension neu).

Was The Notwist auf “Close To The Glass” in zweijähriger Studioarbeit zusammengeschraubt haben, ist nicht wirklich neu. Indie-Rock-Gitarren, elektronische Bleeps und Blips, tiefe Bässe und Markus Archers fast körperloser Gesang mit seinem typischen Akzent. Man erkennt die Band schon nach den ersten Minuten. Das klingt absolut nicht nach Innovationsdruck, sondern vielmehr nach Erfahrung, Lässigkeit und dem Wissen um die eigenen Stärken. Wenn man weder den eigenen Weg finden noch sich selbst neu erfinden muss, dann bleibt umso mehr Zeit für die Arbeit am Song. Und es sind die Songs, die dieses Album bestimmen, viel mehr als auf den Vorgängern. Mit “Kong” haben The Notwist ihren ultimativen Popsong aufgenommen, mit dem sperrigen Opener “Signals” einen knurrigen Türsteher vor den Eingang gestellt und mit “Into Another Tune” ihre eigene Interpretation von Portishead “The Rip” abgeliefert. “Casino” würde ich als klassische Notwist-Ballade bezeichnen, wenn man denn in solch klassischen Strukturen denken mag. Das sie auch mit Shoegaze keine Probleme haben, zeigen sie in “Seven Hour Drive”, einem bewusst roh klingenden Song, dem man die Arbeit an ihm nicht wirklich anhört.

Mein persönliches Highlight ist “Run Run Run”, ein Titel, welcher die Trademarks der Band am besten vereint. Der verhaltene Beginn, der effektiv einsetzende Rythmus, die immer wieder auftauchenden Soundsplitter, die wundervoll gewebte Gesangslinie und die allgegenwärtige Melancholie.

Eine einfache und ergreifende Melodie möglichst komplex und verschachtelt zu präsentieren war schon immer der Kern der Musik von The Notwist. Auch die zwölf neuen Songs auf “Close To The Glass” machen da keine Ausnahme. Wenn ich in diesem Jahr ein Album hören würde, welches gekonnter und zärtlicher konstruiert wäre als dieses: ich wäre überrascht.

9/10


Kommentare

4 Antworten zu „Kritik: The Notwist – Close To The Glass“

  1. Ein noch ultimativerer Notwist Pop Song als “One with the Freaks”?! Ich bin sehr gespannt auf das Album und freue mich auf das erste Hören… und bin mir sicher, dass “Close to the glass” eine meiner Lieblingsplatten in 2014 wird.

    1. Ja doch, finde ich schon.

  2. Zum Glück ist das Album schon seit gestern über npr.org im Stream zu hören, sonst hätte ich das als ganz schöne Gemeinheit empfunden, eine Rezension vor der Veröffentlichung lesen zu müssen, mit der ich nix anfangen kann, weil ich die Songs nicht kenne. Aber so…

    Toll finde ich Deine Beschreibung vom knurrigen Türsteher, den man erst mal überwinden muss. Da musste ich auch erst mal schlucken und war verunsichert, wie es danach wohl weitergehen würde.
    Und ob Kong als ultimativer Popsong gesehen werden kann, sei dahingestellt. Ich finde keinen Bezug dazu, empfinde ihn als schwächsten Song auf der Platte, er nervt ich sogar schon ein bisschen. Vielleicht auch, weil er als zweite Single schon länger bei mir läuft.
    Erstaunlich, dass Dir The Rip aufgefallen ist – ich wusste, ich hab das früher schon mal irgendwo gehört, hätte es aber nie in Richtung Portishead gepackt. Aber ja, sehr frappierend, die Ähnlichkeit.
    Run Run Run finde ich ebenfalls sehr gelungen, eben in allen Facetten typisch The Notwist.
    Mein absoluter Favorit aber überrascht mich selber. Er könnte oberflächlich von vielen anderen Soundtüftlern kommen, hat aber eine Schwere, eine Melancholie, die nur The Notwist schaffen, und deswegen (und weil knapp 9 Minuten Länge immer noch nicht reichen) könnte ich mich in diesen Song reinsetzen, ihn auf Dauerschleife die ganze Nacht hören: Lineri.

    Ich stimme dir zu, jetzt schon eines der besten Alben des Jahres und wesentlich besser als The Devil, You + Me (obwohl ich das auch immer noch gerne höre – aber das gilt ja auch für Shrink). Freitag gehts direkt in den Plattenladen meines Vertrauens und am 20.03. ins E-Werk! 🙂

    1. Ich finde “Kong” ist der ultimative Popsong von The Notwist. Und ich habe deinen Favoriten “Lineri” ganz vergessen zu erwähnen. Ein ebenfalls ganz fantastischer Song.

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