Seitenwechsel #21 – PEER

Ich zitiere: PEER gruppiert sich um Sänger und Songschreiber Peer Göbel, der mit Le Mobilé zwei Alben herausbrachte, solo unter dem Namen Peer zwei CDs veröffentlichte, mit seinem Videoblog Undertube den Indie-Rock in die Berliner U-Bahn brachte – und mit der neuen Bandformation nun Geister ruft, die nicht mehr kontrolliert werden können. Mit Mitgliedern von Hund am Strand, Le Mobilé, Ampl:tude, Sumo und The Grand Coulee könnte man PEER fast eine Berliner Indie-Supergroup nennen – ihre Konzerte sind denn auch ein wenig wie bei den legendären Gigs von Bob Dylan mit The Band.

Viel Spaß bei diesem sehr interessanten Einblick!

//////////

Peer (PEER):

Das klingt immer so ein bisschen traurig, wenn Musiker über den digitalen Umschwung befragt werden, in Zeiten, wo sich Indie-Platten nur selten so verkaufen, dass sie ihre Kosten einspielen. Dabei hätten wir vor zwanzig Jahren noch unsere Aufnahmen auf rauschigen 4-Spur-Geräten gemacht und selbst auf Kassette kopiert, und wären vielleicht kaum über Berlin hinausgekommen. Studio wäre viel zu teuer gewesen, Videos drehen sowieso. Dass Leute „einfach so“ in unsere Musik reinhören und sie kennenlernen können, wäre nur im Plattenladen oder Radio möglich gewesen – also für die meisten unerreichbar. Insofern ist das eine Entwicklung, die Hunderttausenden Leuten ermöglicht hat, Musik zu machen, Labels zu gründen, Studios aufzumachen, CDs rauszubringen, sich zu verwirklichen und ein Stück glücklicher zu sein. Dass es auf der anderen Seite für Musik-Fans (wie uns) super ist, muss man kaum mehr erwähnen, die jetzt alle mögliche Musik schnell an der Hand haben, neue Musik entdecken können, sie noch einfacher an Freunde verschenken und von Freundinnen geschenkt bekommen können. Und das muss man allen Kritiken immer wieder entgegenhalten: Es deutet nichts darauf hin, dass Musik an Wert verloren hat, also an Bedeutung im Leben der Einzelnen oder Vielen, sondern sie wird nur nicht mehr so viel gekauft.

Und das wiederum ist etwas, was auch im Indie-Bereich zu spüren ist. Vor sechs Jahren habe ich noch die These vertreten, dass die ursprüngliche Internet- (=Hacker-) und Indie-Kultur sich einander so ähnlich sind, dass Indie-Labels nicht so sehr von der freien digitalen Verfügbarkeit betroffen sind. Inzwischen ist der betreuende Prof gestorben und die Wirklichkeit hat mich überholt.

Unsere Brötchen verdienen wir mit anderen Jobs.Denn selbst Bands, die im Indie-Spektrum gut gefeatured wurden wie Ja, Panik, können von ihrer Musik nicht leben. Vielleicht ein paar Monate nach dem Platten-Release, mit Festivals und Touren, aber die Aufnahmen der Musik (sei es auf Tonträger oder digital) bringen kaum etwas ein. Auch kleine Major-Bands wie Karpatenhund können sich gerade mal ein Jahr nach der Platte finanzieren, wenn sie jeden zweiten Tag auf Tour sind. Oder Indielabels wie Loob Musik oder Sinnbus, die mit einiger Anerkennung und tollen Platten agieren, müssen sich durch andere Jobs querfinanzieren. Unser Vertrieb sagt, vor zehn, fünfzehn Jahren hätte man von Bands wie uns noch so viel verkauft, dass etwas dabei rumgekommen wäre.

Für uns ist die Situation gerade, dass wir trotz Kulturförderung einige Tausend Euro in die Aufnahmen und die Platte gesteckt haben, 50:50 mit dem Label, die gute Freunde sind. Aber es wird Jahre dauern, bis man zumindest wieder auf Null kommt. Unsere Brötchen verdienen wir mit anderen Jobs. Ergo: Musikmachen ist für uns eine Art teures Hobby. Wie andere Leute ihre Euros in den Fitnessclub, in Fernseher oder Auto investieren, zahlen wir eben für Instrumente, Proberaum und Platten. Wobei ich das Wort „Hobby“ komplett verneinen würde, denn das wertet die Bedeutung ab: Musikmachen ist eine Leidenschaft, ein Teil von mir, was ich machen will und werde, unabhängig von Verwertung. Wenn das Ziel wäre, mit Musik Geld zu verdienen, würde ich wohl eher Comedy-Solo-Auftritte machen, auflegen, in einer Cover-Band auf Tagungen und Volksfesten spielen.

Auf der All2gethernow, dem Geschwisterprojekt der Popkomm, vertraten einige Vortragende die These, dass man die Bekanntheit durch freigegebene Musik dazu nutzen sollte, auf andere Weise Geld zu verdienen. Das verkehrt aber den Kern der Idee, dass ich eben Musik machen will – und nicht ein Buch dazu schreiben, Vorträge halten, ein Blog mit Flattr betreiben, die Musik als Hörbuch einlesen, meine Person vermieten, T-Shirts verkaufen will. Nein, ich will die eigene Musik machen.

Es ist ein blöder Zufall, dass Musik eben nicht so viele digitale Daten benötigt wie ein Film, und deshalb leichter zu kopieren ist. Wobei die rückgängigen Verkaufszahlen wahrscheinlich weniger auf das Kopieren zurückzuführen sind, als darauf, dass im Netz so viel Musik verfügbar ist. Wie der Mainstream in zahlreiche Subkulturen zerfallen ist, ist das Musikhören durch die Vielfalt des Internets noch weiter auf die persönliche Ebene gewandert.

Um den Bogen zum Anfang zu schlagen: Ich glaube natürlich, wir wären auch vor zwanzig Jahren von einem Label gesignt worden und über Berlin hinausgekommen. Weil unsere Musik super ist, weiterhelfen und glücklich machen kann. Wer daran teilhaben will, wer das über Konzertbesuche und Musikkäufe zu schätzen wissen will, ist herzlich eingeladen. Die Digitalisierung ist nicht rückgängig zu machen. Aber mit dem Tollen an der Musik hat das auch gar nichts zu tun.

Foto: Jessica Lennan

//////////

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=JjeP7nmtX1s&fs=1&hl=de_DE]

Infos zu Wir sind Peer:

MySpace-Seite der Band
Homepage
Facebook

//////////

Was soll das hier? Wir sitzen auf der einen Seite. Wir hören Musik umsonst, bei Streaming-Anbietern wie last.fm, Spotify, Simfy. Wir kaufen die ein oder andere Platte oder bezahlen für einen Download. Wir gehen auf Konzerte, kaufen Merchandise-Artikel und bezeichnen uns als Fans. Wir lesen Blogs, wir kennen die Hype Maschine und diverse Onlinemagazine. Und, wenn wir ehrlich sind, dann laden wir auch das eine oder ander Musikstück illegal herunter. Das ist unsere Seite.

Und auf der anderen Seite sitzen die Musiker. Denn die Musikindustrie ist genau genommen nur der Vermittler. Sicherlich ein wichtiger Vermittler, der eine Menge falscher Entscheidungen getroffen hat und trifft, und den man mitunter auch verachten kann. Aber auf der anderen Seite sitzt meines Erachtens der Künstler. Und dessen Meinung zur aktuellen Lage der Industrie geht in meinen Augen sehr oft einfach unter. Dabei wäre es doch gerade interessant zu erfahren, wie Musiker heutzutage leben, womit sie ihr Geld verdienen, wieviel Herzblut mit jedem nicht verkauften Album verloren geht, wie anstrengend das dauernde Touren ist, woher das Durchhaltevermögen kommt, warum man sich das überhaupt antut.

Und aus diesem Grund möchte ich die Musiker fragen. Ich bitte ausgesuchte Künstler, auf meinem Blog ihre Meinung kundzutun. Ihre Meinung zu Fans, zu illegalen Downloads, zu ihrem Arbeitsumfeld, ihrer Lebenssituation, der Musikindustrie, dem Musikerdasein. Dabei sind sie in Form und Inhalt völlig frei. Ob das nun ein kurzes Statement ist oder ein Kurzroman, ich mache keine Vorgaben.

Weiterhin aktuell: Seitenwechsel: die ersten 20 Artikel jetzt auch als Magazin


Kommentare

13.956 Antworten zu „Seitenwechsel #21 – PEER“