Wie instabil und unvorhersehbar unser Leben ist, wird einem erst richtig bewusst, wenn ein unerwartetes Ereignis es vollkommen auf den Kopf stellt. Das „normale“ Leben geht danach nicht einfach weiter. Doch man verarbeitet die einschneidenden Veränderungen über Zeit und lernt, damit zu leben.
Wir gehen alle unterschiedlich damit um, im Falle vom erst 24-jährigen Mickey Pretto findet die Verarbeitung mit Musik statt. Derselbe Mickey Pretto, der im Jahr 2011 mit zwei Freunden die Band New Ivory ins Leben gerufen hat und dort als Leadsänger figurierte. Ihre erste Single ‚A Knight‘ ist unter dem renommierten Label Dim Mak Records veröffentlicht worden und ermöglichte es der aus London stammenden Band grosse Bekanntheit in der Blogosphäre zu erlangen. Das waren noch Zeiten. Messerscharfe Gitarrenriffs, unterlegt mit hämmernden Drums und der rauen Stimme Prettos.
Danach konnte das Trio noch zwei, drei weitere rassige Indie-Rock-Knüller auf uns loslassen, doch ab 2013 war Funkstille angesagt, zumindest was neue Musik angeht. Vor wenigen Tagen dann endlich wieder ein Lebenszeichen auf der Facebook-Page von New Ivory und zwar von Mickey Pretto persönlich: „Very proud to release my new song ‚100 Year Brain‘. It’s been a year since my father passed away and this is dedicated to him. Love you dad.”
https://soundcloud.com/amencrimson/100-year-brain
Kaum hat der Song begonnen, weiss man, das hat wenig mit New Ivory zu tun. Ein akustische Gitarre erwartet einen, ehe ein melancholischer Pretto, begleitet von einem Piano und mit Hip-Hop-Beat unterlegt, seine Leidensgeschichte erzählt: „Speak, speak to me, open your eyes and see. Breathe, breathe on your own, I cannot let you go.“ Wie Pretto mir im persönlichen Gespräch nahebrachte, beschreiben diese Lyrics die Gefühle, die er für seinen Vater empfand, als dieser im Krankenhaus auf dem Sterbebett lag.
Und im selben Stil geht’s weiter. „I don’t know what keeps you alive. You’re not alone, I’m by your side, this is not your time.“ Texte, die mich und wahrscheinlich auch dich zu Tränen rühren. Paradoxerweise lädt einem der Beat dazu ein, zumindest den Kopf im Takt mit zu wippen und Passagen wie „And all I hear is Bla bla bla bla bla“ sind dank der eingängigen Melodie noch Stunden später im Gedächtnis eingebrannt.
Vielleicht macht es genau diese Mischung aus, dass der Song trotz traurigem Text immer und immer wieder gehört werden möchte. Was „100 Year Brain“ unterstreicht, ist dass Pretto über unglaubliches musikalisches und lyrisches Talent verfügt. Man möchte fast sagen: Ganz egal, in welchem Genre, zu welcher Stimmung er Songs schreibt, sie sind garantiert grandios. Das war bei New Ivory so und so ist es auch bei seinem Solo-Projekt Amæn.
Wir dürfen gespannt sein, wie sich Pretto entwickelt. Weitere Lieder hat er bereits geschrieben und werden womöglich in den nächsten Monaten auf einer EP erscheinen.
Amæn: Facebook, Soundcloud
New Ivory: Facebook
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