Tocotronic – Die Unendlichkeit (Review)

Dirk von Lowtzow wird auf dem Tocotronic-Abum Die Unendlichkeit autobiografisch. Seine Bandkollegen begleiten die Rückschau auf musikalisch vielfältige Weise.

Irgendwann Ende des Jahres 2015 hatte der Songwriter die Idee, Songs zu schreiben, die autobiografischen oder autofiktionalen Charakter haben. Erst sprach er mit seinem Freund Jan Müller über diesen sehr persönlichen Zugang zu den neuen Stücken, später dann im Bandkollektiv.

Beim gemeinsamen Gespräch stellten die vier Musiker schnell fest, dass die neuen Stücke zwar autobiografisch, aber eben auch sehr nachvollziehbar und allgemeingültig waren. Selbst Rick McPhail durchlebte im fernen Amerika ähnliche Stimmungen und Gefühle während seiner Jugend.

Textlich sind Tocotronic damit wieder bei den klaren und kraftvollen Worten ihrer Anfangstage angelangt. Es gibt starke Zeilen und Slogans, die ich vielleicht auch deswegen so gut nachvollziehen kann, weil ich nur wenig Jahre jünger als von Lowtzow bin.

Es gab noch keine Handys
Es war alles Gegenwart
Die Zukunft fand ausschließlich
In Science Fiction Filmen statt

(Unwiederbringlich)

Ein Tagtraum im Regen und Apfelkorn
An der Bushaltestelle lungern wir rum
Wir erfinden uns selbst als Anarchisten
Als unscharfe Bilder auf Fahndungslisten

(Electric Guitar)

Im zitierten Electric Guitar geht es um das Heranwachsen und die Abgrenzung gegenüber Anderen durch Popmusik. Aber nicht alles ist Rückblick auf Kindheit und Jugend. Es geht in den Texten auch um den Ausbruch aus der Schwarzwaldhölle, die Gründung der Band in Hamburg, den Umzug nach Berlin.

Wenn es im Lauf des Albums weiter in die jüngere Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft geht, werden die Texte wieder etwas abstrakter.

Musikalisch klingt die Band vielseitiger denn je. Noch nie hörte ich von ihnen solche Gitarrenwände wie im eröffnenden Titelstück, noch nie so experimentelle Klänge wie im berührenden Unwiederbringlich. Ich höre lässige Folk-Rhythmen, verzerrte Gitarren und beschwingte Piano-Akkorde.

Hierbei gelingt der Band allerdings wieder einmal das Kunststück, das sie bereits nach wenigen Durchläufen ganz nach sich selbst klingt. Jeglicher Einfluß, jede Reminiszenz ordnet sich dem Gesamtsound unter.

Tocotronic haben es wieder einmal geschafft, mich in ihren Bann zu ziehen. Dieses Mal bin ich aufgrund der Texte vielleicht sogar noch ein wenig mehr bei ihnen.

Die Unendlichkeit ist ein weiteres popmusikalisches Meisterwerk.



Kommentare

4 Antworten zu „Tocotronic – Die Unendlichkeit (Review)“

  1. Vinyl ist noch unterwegs, hab also noch nichts gehört, ausser dem Titeltrack. Den finde ich allerdings so großartig, dass das Album einfach gut sein muss! 😉

    1. 🙂 Das stimmt, der Titeltrack ist großartig. Allerdings ist das Album musikalisch so vielfältig, dass er kein wirklicher Maßstab ist. Aber ich bin mir sicher, dass du nicht enttäuscht sein wirst.

  2. Ich weiß noch nicht so recht, was ich von dem Album halten soll. Spontan (nach einem Durchlauf) gefällt es mir deutlich weniger gut als das rote Album. Sind ein paar tolle Songs drauf, aber für meine Ohren auch das eine oder andere Füllsel. Aber vielleicht erschließt sich mir die ganze Größe dann bei den weiteren Durchläufen. 🙂

    1. Ja, ich kann deinen Eindruck gut nachvollziehen. Ein paar Durchläufe hat es bei mir wie gesagt auch gebraucht. Aber ich bin da guter Hoffnung 🙂

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